Laßt den andern glauben, was er will, aber fordert dafür auch von ihm, daß er dich nicht glauben läßt, was er glaubt. Diese Forderung ist gerecht und billig; aber ungerecht und verwerflich, verwerflicher noch als die Intoleranz des Gläubigen ist die Intoleranz des Aufgeklärten, welcher von den andern ohne Unterschied verlangt, daß sie zwar nicht so glauben, aber so denken, so frei und gescheut sein sollen, wie er selbst. Man muß auch gegen die Unfreiheit und Dummheit tolerant sein.

Bruckberg den 25ten Octob. 1851.                 Ludwig Feuerbach.

Ludwig Feuerbach, Sämtliche Werke, X. Band,S, 346
Neu herausgegeben von W. Bolin und Fr. Jodl, 2. Aufl., Fromann Verlag 1960
Faksimile in: Dr. Adolph Kohut, Ludwig Feuerbach, Sein Leben und seine Werke, Fritz Eckardt Verlag, Leipzig 1909

 

Auch der Mond, auch die Sonne, auch die Sterne rufen dem Menschen das Erkenne dich selbst zu. Daß er sie sieht und sie so sieht, wie er sie sieht, das ist ein Zeugnis seines eignen Wesens. Das Tier wird nur ergriffen von dem das Leben unmittelbar affizierenden Lichtstrahl, der Mensch dagegen auch noch von dem kalten Strahl des entferntesten Sternes. Nur der Mensch hat reine, intellektuelle, interesselose Freuden und Affekte – nur der Mensch feiert theoretische Augenfeste. Das Auge, das in den Sternenhimmel schaut, jenes nutz- und schadenlose Licht erblickt, welches nichts mit der Erde und ihren Bedürfnissen gemein hat, dieses Auge blickt in diesem Lichte in sein eignes Wesen, seinen eignen Ursprung. Das Auge ist himmlischer Natur. Darum erhebt sich der Mensch über die Erde nur mit dem Auge; darum beginnt die Theorie mit dem Blicke nach dem Himmel. Die ersten Philosophen waren Astronomen. Der Himmel erinnert den Menschen an seine Bestimmung ...

Ludwig Feuerbach, Gesammelte Werke, hg. v. W. Schuffenhauer, 5. Band, "Wesen des Christentums", S. 34f.



Ludwig Feuerbach zitiert bei 3SAT / Gert Scobel zur SQG und über die Entstehung des Universums vom 14.05.2009

 

 

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Zweite Staffel

Nr. 69 vom Sonntag, 06.04.2003

Liebe, aber wahrhaft! – und es fallen Dir alle andern Tugenden von selbst zu.

Gesammelte Werke, Hg. v. W. Schuffenhauer, Bd. 10, S. 164, Fragmente zur Charakteristik meines philosophischen curriculum vitae (1846)

Nr. 68 vom Sonntag, 30.03.2003

Du bist nur, wenn Du liebst; Sein ist erst Sein, wenn es Sein der Liebe ist, aber zugleich geht in der Liebe Dein persönliches Dasein, Dein abgesondertes Fürdichsein zu Grunde. Du bist nur noch in dem geliebten Gegenstande, Alles außer ihm, Du selbst ohne ihn bist Dir Nichts. Die Liebe ist die Quelle aller Freuden, aber auch aller Schmerzen.

Gesammelte Werke, Hg. v. W. Schuffenhauer, Bd. 1, S. 216, Fußn. 4, Gedanken über Tod und Unsterblichkeit (1830)

Nr. 67 vom Sonntag, 23.03.2003

Ich bin nur ein Chirurg, ein ganz empir’scher Chirurgus,
Nehmt’s darum dem Chirurg übel nicht, daß er ist derb.
Vor dem Chirurg entblößt auch die Dame selbst, was sie verbirgt sonst;
Wo der Chirurg anfängt, hört der Ästhetiker auf.
So auch die Theologie zeigt mir, als ihrem Chirurgus,
Jetzo so manches, was sonst gern sie verbirget aus Scham.
Worte natürlich gebrauch’ als Chirurg ich, welche nicht passen
In der Damen und Herrn Zirkel am Abend beim Tee.
Wer ist ein derber Satiriker? Der, so die Quellen studieret,
Draus das Übel entspringt, und sie dann offen auch zeigt.

Gesammelte Werke, Hg. v. W. Schuffenhauer, Bd. 1, 408, Akademie-Verlag Berlin, Gedanken über Tod und Unsterblichkeit - Xenien (1830)

Nr. 66 vom Sonntag, 16.03.2003

Erkennen wir, daß es kein Heil für die Menschheit außer der Vernunft gibt! Der Glaube mag den Menschen beseligen, beruhigen; aber soviel ist gewiß: er bildet, er bessert, er erleuchtet nicht den Menschen; er löscht vielmehr das Licht im Menschen aus, um angeblich ein anderes, übernatürliches Licht an seine Stelle zu setzen. Aber es gibt nur Ein Licht – das Licht der Natur, das in den Tiefen der Natur der Dinge gegründete Licht, das allein auch das göttliche Licht ist, – die Lichter im Plural sind gemachte Lichter – wer dieses Eine Licht verläßt, begibt sich in die Finsternis.

Gesammelte Werke, Hg. v. W. Schuffenhauer, Bd. 4, S. 212, Akademie-Verlag Berlin, Pierre Bayle. Ein Beitrag zur Geschichte der Philosophie und Menschheit (1838)

Nr. 65 vom Sonntag, 09.03.2003

Die Vernunft ist das höchste Gesetz der Philosophie. Wahr ist ihr, was sie durch Vernunft- oder Erfahrungsgründe – was auf Eins hinausläuft – bewähren kann. Nicht das Heilige ist ihr wahr, sondern das Wahre heilig.

Ludwig Feuerbach, Gesammelte Werke, Bd. 8, Herausgegeben von Werner Schuffenhauer, Akademie-Verlag Berlin, S. 218.

Nr. 64 vom Sonntag, 02.03.2003

Die Geschichte der Menschheit besteht in nichts Anderem als einer fortgehenden Überwindung von Schranken, die zu einer bestimmten Zeit für Schranken der Menschheit und darum für absolute, unübersteigliche Schranken gelten. Die Zukunft enthüllt aber immer, daß die angeblichen Schranken der Gattung nur Schranken der Individuen waren. Die Geschichte der Wissenschaften, namentlich der Philosophie und Naturwissenschaften liefern hierfür die interessantesten Belege.

Ludwig Feuerbach, Gesammelte Werke, Bd. 5, Herausgegeben von Werner Schuffenhauer, Akademie-Verlag Berlin, S. 267/8.

Nr. 63 vom Sonntag, 23.02.2003

Die spekulative Philosophie Deutschlands ... ist ein Beispiel von den schädlichen Einflüssen der verpesteten Stadtluft. Wer kann leugnen, daß ihr Denkorgan, namentlich in Hegel, vortrefflich organisiert war, aber wer auch übersehen, daß die Funktion des Zentralorgans von den Sinnenfunktionen zu sehr abgesondert, daß namentlich der Kanal bei ihr verstopft war, durch welchen die Natur ihren heilbringenden Odem uns zuströmt?

Karl Grün, Ludwig Feuerbach in seinem Briefwechsel und Nachlaß sowie in seiner Philosophischen Charakterentwicklung, C.F. Winter'sche Verlagshandlung, Leipzig & Heidelberg 1874, Zweiter Band, S. 313

Nr. 62 vom Sonntag, 16.02.2003

Rückwärts stimme ich den Materialisten vollkommen bei, aber nicht vorwärts.

Karl Grün, Ludwig Feuerbach in seinem Briefwechsel und Nachlaß sowie in seiner Philosophischen Charakterentwicklung, C.F. Winter'sche Verlagshandlung, Leipzig & Heidelberg 1874, Zweiter Band, S. 308

Nr. 61 vom Sonntag, 09.02.2003

Die Katholiken und Protestanten haben, vom Staate unangefochten, Religionsfreiheit, d.h. Freiheit von der Vernunft, von den Gesetzen der Humanität, die Freiheit, durch Missionen dem Volke den Verstand aus dem Kopfe und das Geld aus dem Beutel zu nehmen.

Karl Grün, Ludwig Feuerbach in seinem Briefwechsel und Nachlaß sowie in seiner Philosophischen Charakterentwicklung, C.F. Winter'sche Verlagshandlung, Leipzig & Heidelberg 1874, Zweiter Band, S. 315

Nr. 60 vom Sonntag, 02.02.2003

"Mit den Sinnen lesen wir das Buch der Natur; aber wir verstehen es nicht durch die Sinne." Ganz richtig, aber wir tragen durch den Verstand keinen Sinn erst in die Natur hinein; wir übersetzen und interpretieren nur das Buch der Natur; die Worte, die wir mit den Sinnen darin lesen, sind keine willkürlichen Zeichen, sondern bestimmte, sachgemäße, charakteristische Ausdrücke.

Ludwig Feuerbach, Gesammelte Werke, Bd. 10, Kleinere Schriften III (1846-1850), Herausgegeben von Werner Schuffenhauer, Akademie-Verlag Berlin, 2. Aufl. 1982, Wider den Dualismus von Leib und Seele, Fleisch und Geist, S. 150

Nr. 59 vom Sonntag, 26.01.2003

Die christliche Kunst war der Bernstein, zu dem sich das ätherische Öl des Christentums verkörpert hatte; aber das Christentum, das in dem schönen Stein eingefaßt war, ach, es war sowenig ein lebendiges als das Insekt, das in dem Bernstein eingeschlossen ist, es war nur ein Rest einer untergegangenen Welt.

Gesammelte Werke Hg. W. Schuffenhauer, Bd. 8, Über Philosophie und Christentum, S. 286

Nr. 58 vom Sonntag, 19.01.2003

Die alte Philosophie hat eine doppelte Wahrheit - die Wahrheit für sich selbst, die sich nicht um den Menschen bekümmerte - die Philosophie -, und die Wahrheit für den Menschen - die Religion. Die neue Philosophie dagegen, als die Philosophie des Menschen, ist auch wesentlich die Philosophie für den Menschen - sie hat, unbeschadet der Würde und Selbständigkeit der Theorie, ja, im innigsten Einklang mit derselben, wesentlich eine praktische, und zwar im höchsten Sinne praktische, Tendenz; sie tritt an die Stelle der Religion, sie hat das Wesen der Religion in sich, sie ist in Wahrheit selbst Religion.

Ludwig Feuerbach, Die Grundsätze der Philosophie der Zukunft, Gesammelte Werke, herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften durch Werner Schuffenhauer, Bd. 9, S. 340

Nr. 57 vom Sonntag, 12.01.2003

Die Moral verdirbt oder verübelt nicht, wie die katholische Heiligkeit ... den ästhetischen Geschmack, den Wohlgeschmack an guter geistiger und leiblicher Nahrung; es ist also nicht unmoralisch, Gutes zu essen, aber es ist unmoralisch, als Familienvater, um bei der nächsten und engsten menschlichen Gemeinschaft stehenzubleiben, diesen Genuß nur mir allein mit Ausschluß der Meinigen oder gar auf Kosten ihres eignen Nahrungsbedürfnisses zu gönnen. Was aber die Moral uns gebietet, uns zu beschränken in unsern Lebensbedürfnissen, wenn sie nur zum Nachteil und Verderben der andern befriedigt werden können, das tut der wahre, mustergültige Familienvater von selbst, aus eignem Antrieb; denn das mit den Seinigen geteilte Stück trocknen Brotes schmeckt und bekommt ihm besser, als das allein für sich genossene, saftigste Bratenstück.

Gesammelte Werke Hg. W. Schuffenhauer, Bd. 16, Zur Moralphilosophie (1868)

Nr. 56 vom Sonntag, 05.01.2003

Jeder Trieb ist ein Glückseligkeitstrieb, wie in jedem andern empfindenden Wesen, so auch im Menschen, und kann daher ihn so einnehmen, daß ihm die Befriedigung desselben für die einzige, die ganze Glückseligkeit gilt, denn jeder Gegenstand, welchen er begehrt, wonach er einen Trieb empfindet, ist, wiefern er diesen Trieb befriedigt, die Begierde nach ihm stillt, ein den Menschen Beglückendes, und wird nur, weil es ein solches ist, begehrt und gewollt. Die allererste Bedingung des Willens ist daher die Empfindung. Wo keine Empfindung, da ist kein Schmerz, kein Leid, kein Unwohlsein, keine Pein und Not, kein Mangel, kein Bedürfnis, kein Hunger und Durst, kurz, kein Unglück, kein Übel; wo aber kein Übel, da ist auch kein Widerstreben, kein Sich-Entgegensetzen, kein Trieb, keine Bemühung und Bestrebung, sich des Übels zu erwehren, kein Wille. Widerwille - Widerwille gegen Not und Pein -, Abscheu ist der erste Wille, der Wille, womit ein empfindendes Wesen sein Dasein beginnt und erhält.

Ludwig Feuerbach, Sämtliche Werke, X. Band, S. 230 f. , Neu herausgegeben von W. Bolin und Fr. Jodl, 2. Aufl., Fromann Verlag 1960

Nr. 55 vom Sonntag, 29.12.2002

Hieraus ergibt sich folgender kategorischer Imperativ: Wolle nicht Philosoph sein im Unterschied vom Menschen, sei nichts weiter als ein denkender Mensch; denke nicht als Denker, d. h. in einer aus der Totalität des wirklichen Menschenwesens herausgerissenen und für sich isolierten Fakultät; denke als lebendiges, wirkliches Wesen, ... denke in der Existenz, in der Welt als ein Mitglied derselben, nicht im Vakuum der Abstraktion, als eine vereinzelte Monade, als ein absoluter Monarch, als ein teilnahmloser, außerweltlicher Gott - dann kannst du darauf rechnen, daß deine Gedanken Einheiten sind von Sein und Denken.

Ludwig Feuerbach, Die Grundsätze der Philosophie der Zukunft, Gesammelte Werke, herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften durch Werner Schuffenhauer, Bd. 9, S. 334

Nr. 54 vom Sonntag, 22.12.2002

Nicht wider die Religion sein, aber über ihr sein! Die Erkenntniss ist mehr als der Glaube. Ist auch wenig, was wir wissen, dieses bestimmte Wenige ist doch mehr, als das nebelhafte Mehr, das der Glaube vor dem Wissen voraus hat.

Karl Grün, Ludwig Feuerbach in seinem Briefwechsel und Nachlaß sowie in seiner Philosophischen Charakterentwicklung, C.F. Winter'sche Verlagshandlung, Leipzig & Heidelberg 1874, Zweiter Band, S. 313

Nr. 53 vom Sonntag, 15.12.2002

Es ist thöricht zu glauben, dass auf dem Gebiete des Geistes andere Triebe und Motive die Menschen beherrschen, als auf dem Gebiete des Lebens. So wenig die Menschen aus Vernunft heirathen, sondern aus Neigung, der eine aus dieser, der andere aus jener Neigung, so wenig urtheilen und richten sie aus Vernunft, sondern aus Neigung. Was uns anzieht, was uns entspricht, das halten wir für wahr; was uns widerspricht, für falsch und schlecht.

Ludwig Feuerbach, Sämtliche Werke, X. Band,S, 310, Neu herausgegeben von W. Bolin und Fr. Jodl, 2. Aufl., Fromann Verlag 1960

Nr. 52 vom Sonntag, 08.12.2002

Macht euch vertraut mit Natur, erkennt in ihr auch den Geist an,
Ruhig sinket ihr dann einst in die Erde hinab.

Gesammelte Werke Hg. W. Schuffenhauer, Bd. 1, Gedanken über Tod und Unsterblichkeit, Xenien, Nr. 208, S. 251

Nr. 51 vom Sonntag, 01.12.2002

Die neue Philosophie stützt sich auf die Wahrheit der Liebe, die Wahrheit der Empfindung. In der Liebe, in der Empfindung überhaupt gesteht jeder Mensch die Wahrheit der neuen Philosophie ein. Die neue Philosophie ist in Beziehung auf ihre Basis selbst nichts andres als das zum Bewußtsein erhobene Wesen der Empfindung - sie bejaht nur in und mit der Vernunft, was jeder Mensch - der wirkliche Mensch - im Herzen bekennt. Sie ist das zu Verstand gebrachte Herz. Das Herz will keine abstrakten, keine metaphysischen oder theologischen - es will wirkliche, es will sinnliche Gegenstände und Wesen.

Ludwig Feuerbach, Die Grundsätze der Philosophie der Zukunft, Gesammelte Werke, herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften durch Werner Schuffenhauer, Bd. 9, S. 319

Nr. 50 vom Sonntag, 24.11.2002

Jede Philosophie der Vergangenheit ist für eine spätere Zeit ein Paradoxon, eine Anomalie, ein Widerspruch mit ihrer Vernunft. Die Entwicklung [als die Enträtselung des wahren Sinnes einer Philosophie] hat die Aufgabe, diesen Widerspruch aufzulösen, dieses Paradoxe abzustreifen, den fremden Gedanken als einen, wenigstens unter gewissen Bedingungen, eignen Gedanken von uns nachzuweisen.

Ludwig Feuerbach, Gesammelte Werke, Bd. 9, Kleinere Schriften II (1839-1846), Herausgegeben von Werner Schuffenhauer, Akademie-Verlag Berlin, 2. Aufl. 1982, S. 7: An Karl Riedel. Zur Berichtigung seiner Skizze

Nr. 49 vom Sonntag, 17.11.2002

So lange die Natur noch nicht an ihr Letztes gekommen ist, so lange ist sie noch im Werden und Wachsen begriffen (und es scheint, dass sie es noch lange ist), so lange wird es auch das Wissen und Streben im Menschen sein.

Ludwig Feuerbach, Sämtliche Werke, X. Band,S, 309 f., Neu herausgegeben von W. Bolin und Fr. Jodl, 2. Aufl., Fromann Verlag 1960

Nr. 48 vom Sonntag, 10.11.2002

Das Wirkliche in seiner Wirklichkeit und Totalität, der Gegenstand der neuen Philosophie, ist auch nur einem wirklichen und ganzen Wesen Gegenstand. Die neue Philosophie hat daher zu ihrem Erkenntnisprinzip, zu ihrem Subjekt nicht das Ich, nicht den absoluten, d. i. abstrakten, Geist, kurz, nicht die Vernunft in abstracto, sondern das wirkliche und ganze Wesen des Menschen. Die Realität, das Subjekt der Vernunft ist nur der Mensch. Der Mensch denkt, nicht das Ich, nicht die Vernunft. ... Wenn daher die alte Philosophie sagte: Nur das Vernünftige ist das Wahre und Wirkliche, so sagt dagegen die neue Philosophie: Nur das Menschliche ist das Wahre und Wirkliche; denn das Menschliche nur ist das Vernünftige, der Mensch das Maß der Vernunft.

Ludwig Feuerbach, Die Grundsätze der Philosophie der Zukunft, Gesammelte Werke, herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften durch Werner Schuffenhauer, Bd. 9, S. 333

Nr. 47 vom Sonntag, 03.11.2002

Alles sagen die Sinne; aber um ihre Aussagen zu verstehen, muß man sie verbinden. Die Evangelien der Sinne im Zusammenhang lesen, heißt denken.

Ludwig Feuerbach, Gesammelte Werke, Bd. 10, Kleinere Schriften III (1846-1850), Herausgegeben von Werner Schuffenhauer, Akademie-Verlag Berlin, 2. Aufl. 1982, S. 150

Nr. 46 vom Sonntag, 27.10.2002

Das Gewissen stammt vom Wissen oder hängt mit dem Wissen zusammen; aber es bezeichnet nicht das Wissen überhaupt, sondern eine besondere Abteilung oder Art des Wissens, das Wissen, das sich auf unser moralisches Verhalten, unsre bösen oder guten Gesinnungen und Handlungen bezieht. Dieser Unterschied desselben vom Wissen überhaupt oder vom bloßen Wissen ist selbst schon sprachlich durch die Vorsilbe angezeigt, wie unsre Moralphilosophen und Moraltheologen richtig bemerkt haben. Aber gleichwohl haben sie kein besondres Gewicht gelegt auf die Bedeutung der deutschen Vorsilbe: ge ; sie bedeutet nämlich dasselbe, was das Syn in dem griechischen Synekdosis, was das Con in dem lateinischen Conscientia, also das, was das deutsche Mit. Gewissen ist Mitwissen.

Ludwig Feuerbach, Sämtliche Werke, X. Band, S. 282, Neu herausgegeben von W. Bolin und Fr. Jodl, 2. Aufl., Fromann Verlag 1960

Nr. 45 vom Sonntag, 20.10.2002

Wollt ihr das Volk bessern, so gebt ihm statt Deklamationen gegen die Sünde bessere Speisen. Der Mensch ist, was er ißt.

Ludwig Feuerbach, Gesammelte Werke, Bd. 10, Kleinere Schriften III (1846-1850), Herausgegeben von Werner Schuffenhauer, Akademie-Verlag Berlin, 2. Aufl. 1982, Die Naturwissenschaft und die Revolution, S. 367

Nr. 44 vom Sonntag, 13.10.2002

Nicht wider die Religion sein, aber über ihr sein! Die Erkenntniss ist mehr als der Glaube. Ist auch wenig, was wir wissen, dieses bestimmte Wenige ist doch mehr, als das nebelhafte Mehr, das der Glaube vor dem Wissen voraus hat.

Nr. 43 vom Sonntag, 06.10.2002

Die letzten Gründe findet der Mensch nur da, wo er seine letzten Wünsche erfüllt, sein Gemüth befriedigt findet. Durch die Naturwissenschaft und ihre Generalisationsmethode findet daher nur oder glaubt nur der seinen letzten Grund zu finden, der seine letzten Wünsche in die naturwissenschaftliche Erkenntniss setzt.

Ludwig Feuerbach, Sämtliche Werke, X. Band,S, 308 f., Neu herausgegeben von W. Bolin und Fr. Jodl, 2. Aufl., Fromann Verlag 1960

Nr. 42 vom Sonntag, 29.09.2002

Es ist thöricht zu glauben, dass auf dem Gebiete des Geistes andere Triebe und Motive die Menschen beherrschen, als auf dem Gebiete des Lebens. So wenig die Menschen aus Vernunft heirathen, sondern aus Neigung, der eine aus dieser, der andere aus jener Neigung, so wenig urtheilen und richten sie aus Vernunft, sondern aus Neigung. Was uns anzieht, was uns entspricht, das halten wir für wahr; was uns widerspricht, für falsch und schlecht. Wie im Leben, so macht sich auch in der Litteratur jeder seine Freunde und Feinde. Freunde sind, die in uns sich selbst ausgesprochen und vertreten finden, Feinde, die in uns ihre Meinungen, Ansichten, Liebschaften, kurz sich selbst nicht anerkannt, oder gar negirt finden. Und wie man nur lebt für seine Freunde, so schreibt man auch nur für seine wirklichen oder möglichen Freunde. Die Indifferenten sind überall Nullen; und deine Feinde gewinnen, überzeugen zu wollen, ist Thorheit, denn sie sehen selbst Deine Tugenden für Fehler, Deine Gründe für Sophismen an.

Ludwig Feuerbach, Sämtliche Werke, X. Band, S. 310, Neu herausgegeben von W. Bolin und Fr. Jodl, 2. Aufl., Fromann Verlag 1960

Nr. 41 vom Sonntag, 22.09.2002

Wahr und göttlich ist nur, was keines Beweises bedarf, was unmittelbar durch sich selbst gewiß ist, unmittelbar für sich spricht und einnimmt, unmittelbar die Affirmation, daß es ist, nach sich zieht - das schlechthin Entschiedene, schlechthin Unzweifelhafte, das Sonnenklare. Aber sonnenklar ist nur das Sinnliche; nur wo die Sinnlichkeit anfängt, hört aller Zweifel und Streit auf. Das Geheimnis des unmittelbaren Wissens ist die Sinnlichkeit.

Ludwig Feuerbach, Die Grundsätze der Philosophie der Zukunft, Gesammelte Werke, herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften durch Werner Schuffenhauer, Bd. 9, S. 321

Nr. 40 vom Sonntag, 15.09.2002

Die Philosophie muß sich wieder mit der Naturwissenschaft, die Naturwissenschaft mit der Philosophie verbinden. Diese auf gegenseitiges Bedürfnis, auf innere Notwendigkeit gegründete Verbindung wird dauerhafter, glücklicher und fruchtbarer sein als die bisherige Mesalliance zwischen der Philosophie und Theologie.

Gesammelte Werke Hg. W. Schuffenhauer, Bd. 9, Vorläufige Thesen zur Reformation der Philosophie, S. 262

Nr. 39 vom Sonntag, 08.09.2002

Was man wahrhaft studiren will, mit dem muss man identisch sein, wenigstens eine Zeit lang. Mit Hegel muss man Hegel, mit Leibnitz Leibnitz, mit Spinoza Spinozist werden. Wer seinen Verstand nur gegen Etwas gewendet, der kennt nie den wahren Verstand desselben. Ausserdem behandelst Du jene Philosophen blos als Historiker, als Gelehrter, nicht als wesensgleiche Philosophen.

Karl Grün, Ludwig Feuerbach in seinem Briefwechsel und Nachlaß sowie in seiner Philosophischen Charakterentwicklung, C.F. Winter'sche Verlagshandlung, Leipzig & Heidelberg 1874, Ester Band, S. 65

Nr. 38 vom Sonntag, 01.09.2002

Der Philosoph muß das im Menschen, was nicht philosophiert, was vielmehr gegen die Philosophie ist, dem abstrakten Denken opponiert, das also, was bei Hegel nur zur Anmerkung herabgesetzt ist, in den Text der Philosophie aufnehmen. Nur so wird die Philosophie zu einer universalen, gegensatzlosen, unwiderleglichen, unwiderstehlichen Macht. Die Philosophie hat daher nicht mit sich, sondern mit ihrer Antithese, mit der Nichtphilosophie, zu beginnen. Dieses vom Denken unterschiedene, unphilosophische, absolut antischolastische Wesen in uns ist das Prinzip des Sensualismus.

Gesammelte Werke Hg. W. Schuffenhauer, Bd. 9, Vorläufige Thesen zur Reformation der Philosophie, S. 254

Nr. 37 vom Sonntag, 25.08.2002

Der Wagen der Weltgeschichte ist ein enger Wagen; wie man in ihn nicht mehr hineinkommt, wenn man die bestimmte Zeit versäumt, man müsste denn mit der Extrapost ihm nachfahren, so kann man auch, wenn man mitfahren will, nur das wesentlich Nothwendige, das Seinige, nicht aber den Hausrath mitnehmen.

Feuerbach in einem nicht abgeschickten Brief an Daumer 1842 in: Karl Grün, Ludwig Feuerbach in seinem Brief-wechsel und Nachlaß sowie in seiner Philosophischen Charakterentwicklung, C.F. Winter'sche Verlagshandlung, Leipzig & Heidelberg 1874, Ester Band, S. 349

Nr. 36 vom Sonntag, 18.08.2002

Was ist Bildung? Unterscheidung zwischen subjectiv und objectiv. Wer ist noch roh gegen die Kinder? Der ihnen zumuthet, was man nur von den Erwachsenen verlangen kann, der also zwischen seinem Wesen und dem Wesen der Kinder keinen Unterschied macht. Wer ist roh gegen die Thiere? Der ihnen als Schuld anrechnet, was Folge ihrer Natur ist, oder sie straft, als thäten sie absichtlich, was sie nothwendig thun. Wer ist roh gegen Unglückliche, gegen Hässliche, gegen Missgestaltete? Der einen Fehler der Natur zu einem Fehler des Willens macht. Wer roh gegen die Natur? Der ihr einen Verstand und Willen zuschreibt: der religiöse Teleologe.

Ludwig Feuerbach, Sämtliche Werke, X. Band,S, 310 f., Neu herausgegeben von W. Bolin und Fr. Jodl, 2. Aufl., Fromann Verlag 1960

Nr. 35 vom Sonntag, 11.08.2002

Das Mittelglied, der terminus medius, zwischen dem Hohen und Niedrigen, dem Abstrakten und Konkreten, dem Allgemeinen und Besondern ist praktisch die Liebe, theoretisch der Humor. Die Liebe verknüpft den Geist mit dem Menschen, der Humor die Wissenschaft mit dem Leben. Die Liebe ist selbst Humor und der Humor Liebe.

Ludwig Feuerbach, Gesammelte Werke, Bd. 9, Kleinere Schriften II (1839-1846), Herausgegeben von Werner Schuffenhauer, Akademie-Verlag Berlin, 2. Aufl. 1982, S. 10: An Karl Riedel. Zur Berichtigung seiner Skizze

Nr. 34 vom Sonntag, 04.08.2002

Anerkennt Ihr Pflichten des Menschen gegen sich, ebenso Pflichten gegen die Nebenmenschen, und zwar mit Recht, denn im Vergleich zu den Pflichten gegen andere und im Gegensatz zu den unverschämten Forderungen, die sie an mich stellen können, gibt es wirklich solche, und ist folglich dieser Ausdruck ein berechtigter und richtiger - nun, so anerkennt auch offen und ehrlich den Egoismus, erhebt ihn unumwunden und feierlich in den Adelsstand der Moral als ein notwendiges Element, als einen Grundbestandteil derselben.

Ludwig Feuerbach, Sämtliche Werke, X. Band, S. 257, Neu herausgegeben von W. Bolin und Fr. Jodl, 2. Aufl., Fromann Verlag 1960

Nr. 33 vom Sonntag, 28.07.2002

Nur durch Mitteilung, nur aus der Konversation des Menschen mit dem Menschen entspringen die Ideen. Nicht allein, nur selbander kommt man zu Begriffen, zur Vernunft überhaupt. Zwei Menschen gehören zur Erzeugung des Menschen - des geistigen sogut wie des physischen: Die Gemeinschaft des Menschen mit dem Menschen ist das erste Prinzip und Kriterium der Wahrheit und Allgemeinheit.

Ludwig Feuerbach, Die Grundsätze der Philosophie der Zukunft, Gesammelte Werke, herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften durch Werner Schuffenhauer, Bd. 9, S. 324


Nr. 32 vom Sonntag, 21.07.2002

Die Philosophie ist die Erkenntnis dessen, was ist. Die Dinge und Wesen so zu denken, so zu erkennen, wie sie sind - dies ist das höchste Gesetz, die höchste Aufgabe der Philosophie.

Gesammelte Werke Hg. W. Schuffenhauer, Bd. 9, Vorläufige Thesen zur Reformation der Philosophie, S. 251


Nr. 31 vom Sonntag, 14.07.2002

Der Mensch steht mit Bewusstsein auf einem unbewussten Grunde; er ist unwillkürlich da, er ist ein nothwendiges Wesen der Natur. Die Natur wirkt in ihm ohne sein Wollen und Wissen. Er nennt seinen Leib sein und ist ihm doch absolut fremd; er isst mit Genuss, und was ihn zum Hunger treibt, ist ein anderes Wesen. Er isst: und doch hat er weder den Grund noch die Folgen desselben in seiner Gewalt, weder des Wissens noch des Könnens. Er muss essen. Er ist in seinem eigenen Hause ein Fremdling, er hat alle Lasten und Genüsse, Schmerzen und Freuden, ohne doch Grundeigenthümer, Herr zu sein. Er ist gestellt auf die Spitze einer schwindelnden Anhöhe - unter ihm ein unbegreiflicher Abgrund.

Ludwig Feuerbach, Sämtliche Werke, X. Band,S, 306
Neu herausgegeben von W. Bolin und Fr. Jodl, 2. Aufl., Fromann Verlag 1960


Nr. 30 vom Sonntag, 07.07.2002

Widerlegen ist sehr leicht; aber verstehen sehr schwer.

Ludwig Feuerbach, Sämtliche Werke, X. Band,S, 346
Neu herausgegeben von W. Bolin und Fr. Jodl, 2. Aufl., Fromann Verlag 1960


Nr. 29 vom Sonntag, 30.06.2002

Meine Schriften gehen so tief, so Schein und Wesen unterscheidend, so ernstlich in die Religion und ihre Vorstellungen ein, dass sie weder für die, welche Glauben haben, noch für die Entgegengesetzten, welche keinen Glauben haben, lesbar sind. Für diese nicht, wegen ihrer angeblichen Gottlosigkeit, für jene nicht, wegen ihrer Interesselosigkeit.

Ludwig Feuerbach, Sämtliche Werke, X. Band,S, 346
Neu herausgegeben von W. Bolin und Fr. Jodl, 2. Aufl., Fromann Verlag 1960

 

 

Erste Staffel

Nr. 1 vom Sonntag, 22.11.1998


"Oh, Sie Pfiffikus! 'Feuerbach hat sich überlebt?' - aber gleichwohl lebt noch der Heilige Vater, und ich sage Ihnen, Herr Superklug, solange noch der Papst, die Bischöfe, noch Konsistorialräte, noch Geistliche, noch Theologen, noch die Kirche überhaupt, noch Könige von Gottesgnaden usw. existieren, solange hat sich auch noch Feuerbach nicht überlebt."

Der Mensch schuf Gott nach seinem Bilde. Kritisches über Religion, Theologie und Kirche von Ludwig Feuerbach, hg. v. W. Schuffenhauer, Dietz Verlag Berlin, 1958, S. 20


Nr. 2 vom Sonntag, 29.11.1998

"Wenn wir nicht mehr ein besseres Leben glauben, sondern wollen, aber nicht vereinzelt, sondern mit vereinigten Kräften wollen, so werden wir auch ein besseres Leben schaffen, so werden wir wenigstens die krassen, himmels- schreienden, herzzerreißenden Ungerechtigkeiten und Übelstände, an denen bisher die Menschheit litt, beseitigen ..."

Der Mensch schuf Gott nach seinem Bilde. Kritisches über Religion, Theologie und Kirche von Ludwig Feuerbach, hg. v. W. Schuffenhauer, Dietz Verlag Berlin, 1958, S. 187


Nr. 3 vom Sonntag, 06.12.1998

"Das Sein läßt sich nicht separieren,
Drum kann es nur das Nichts kurieren."

Gesammelte Werke Bd. 1, Hg. W. Schuffenhauer, aus: Abaelard und Heloise, S. 541


Nr. 4 vom Sonntag, 13.12.1998

"Es ist nun einmal so: Die Erkenntnis wird nur durch den Verlust der Unschuld des Lebens erkauft. Wenn Adam einmal die Feder ergreift, so seid gewiß, daß er bereits aus dem Paradies des Lebens heraus ist, schon von dem Baume der Erkenntnis des Guten und Bösen gekostet hat. Darum trägt auch Mephistopheles eine Feder auf seinem Kopfe. "

Gesammelte Werke Hg. W. Schuffenhauer, Bd. 1, aus: Gedanken über Tod und Unsterblichkeit, S. 361

Nr. 5 vom Sonntag, 20.12.1998

"Dem Wesen, also dem Denken nach bist Du nicht unterschieden von andern, darum sollst Du auch im Handeln, in Deinem Leben, in Deinem Sein als einzelner Mensch das sein, was Du wirklich, was Du gemäß Deinem wahren Wesen bist."

Ludwig Feuerbach, rororo Bildmonographie, H.-M. Sass, S. 36

Nr. 6 vom Sonntag, 27.12.1998

"Es ist nur der Egoismus, die Eitelkeit, die Selbstgefälligkeit der Christen, daß sie wohl selbst die Splitter in dem Glauben der nichtchristlichen Völker, aber nicht die Balken in ihrem eignen Glauben erblicken."

Der Mensch schuf Gott nach seinem Bilde. Kritisches über Religion, Theologie und Kirche von Ludwig Feuerbach, hg. v. W. Schuffenhauer, Dietz Verlag Berlin, 1958, S. 102

Nr. 7 vom Sonntag, 03.01.1999

"...denn der Theologie, sage ich, sei nur das ihr Heilige wahr, der Philosophie aber nur das Wahre heilig..."

L. Feuerbach, Das Wesen der Religion, A. Kröner Verl. Stuttgart 1938, S. 12

Nr. 8 vom Sonntag, 10.01.1999

"Nur der Unterschied der menschlichen Triebe, Bedürfnisse, Fähigkeiten, nur dieser Unterschied und ihre Rangordnung bestimmt daher den Unterschied und die Randordnung der Götter und Religionen. Den Maßstab, das Kriterium der Gottheit und eben deswegen den Ursprung der Götter hat daher der Mensch an und in sich selbst."

L. Feuerbach, Das Wesen der Religion, A. Kröner Verl. Stuttgart 1938, S. 63

Nr. 9 vom Sonntag, 17.01.1999

"Ich anerkenne die Naturreligion in keiner anderen Weise, keiner anderen Ausdehnung, keinem anderen Sinne, als in welchem ich überhaupt Religion anerkenne; ich anerkenne nur ihre einfache Grundwahrheit. Diese Wahrheit ist aber nur, daß der Mensch abhängig ist von der Natur, daß er in Eintracht mit der Natur leben, daß er selbst auf seinem höchsten geistigen Standpunkt nicht vergessen soll, daß er ein Kind und Glied der Natur ist, daß er die Natur nicht nur als den Grund und Quell seiner Existenz, sondern auch als Grund und Quell seiner geistigen und leiblichen Gesundheit stets verehren, heilig halten soll."

L. Feuerbach, Das Wesen der Religion, A. Kröner Verl. Stuttgart 1938, S. 42

Nr. 10 vom Sonntag, 24.01.1999

"Nur der pantheistischen Anschauung von der Welt verdanken wir alle großen Entdeckungen und Leistungen der neuern Zeit in Künsten und Wissenschaften; denn wie kann der Mensch sich für die Welt begeistern, wenn sie ein von Gott unterschiedenes, ausgeschlossenes, also ungöttliches Wesen ist? Alle Begeisterung ist ja Vergötterung."

Gesammelte Werke Hg. W. Schuffenhauer, Bd. 10, aus: Vorlesung über Geschichte der neuern Philosophie, S. 169

Nr. 11 vom Sonntag, 31.01.1999

"Der absolute Geist ist nichts anderes als der absolute Professor, der die Philosophie als Amt betreibende, in der Professur seine höchste Seligkeit und Bestimmung findende, den Kathederstandpunkt zum kosmologischen und welthistorischen, Alles bestimmenden Standpunkt machenden Professor."

Brief Feuerbachs vom 20.10.1860 an Wihelm Bolin, nachdem er sich in diesem Jahr von Bruckberg gelöst hatte und nach Nürnberg-Rechenberg gezogen war.

Nr. 12 vom Sonntag, 07.02.1999

"Mann und Weib sind nicht nur leiblich, sondern auch geistig unterschieden; aber folgt aus diesem Unterschied Unterordnung, Ausschließung des Weibes von geistigen und allgemeinen, nicht nur häuslichen Beschäftigungen?
Lassen wir die Frauen nur auch politisieren! Sie werden gewiß ebensogut wie wir Männer Politiker sein, nur Politiker anderer Art, vielleicht selbst besserer Art als wir ..."

Brief an Wilhelm Bolin vom 03.06.1870

Nr. 13 vom Sonntag, 14.02.1999

"Einst war mir das Denken Zweck des Lebens, aber jetzt ist mir das Leben Zweck des Denkens."

Ludwig-Feuerbach-ABC, hg. v. H. Kraus, 2. Aufl. 1992, S. 48

Nr. 14 vom Sonntag, 21.02.1999

"Die Philosophie zur Sache der Menschheit zu machen, das war mein erstes Bestreben. Aber wer einmal diesen Weg einschlägt, kommt notwendig zuletzt dahin, den Menschen zur Sache der Philosophie zu machen und die Philosophie selbst aufzuheben; denn sie wird nur dadurch Sache der Menschheit, daß sie eben aufhört, Philosophie zu sein."

Ludwig-Feuerbach-ABC, hg. v. H. Kraus, 2. Aufl. 1992, S. 47

Nr. 15 vom Sonntag, 28.02.1999

"'Der Mensch ist das höchste Wesen der Natur, vom Wesen des Menschen muß ich also ausgehen, dasselbe zu Grunde legen, wenn ich mir den Ursprung und Gang der Natur klarmachen will.' Ganz richtig: aber eben im Menschen 'kommt der Verstand nicht vor den Jahren', geht die Materie dem Geiste, die Bewußtlosigkeit dem Bewußtsein, die Zwecklosigkeit dem Zwecke, die Sinnlichkeit der Vernunft, die Leidenschaft dem Willen voraus."

Ludwig-Feuerbach-ABC, hg. v. H. Kraus, 2. Aufl. 1992, S. 46

Nr. 16 vom Sonntag, 07.03.1999

"Wie einst von der Kirche, so muß sich jetzt der Geist vom Staate frei machen. Der bürgerliche Tod ist allein der Preis, um den du dir jetzt die Unsterblichkeit des Geistes erwerben kannst."

Ludwig-Feuerbach-ABC, hg. v. H. Kraus, 2. Aufl. 1992, S. 13

Nr. 17 vom Sonntag, 14.03.1999

"Wie die überbernünftigen und übernatürlichen Lehren der Dogmatik zur Unvernunft und Unnatur, so führen auch die übernatürlichen und übermenschlichen Forderungen der Moral zur Unmenschlichkeit, Unnatur und Unwahrheit.

Ludwig-Feuerbach-ABC, hg. v. H. Kraus, 2. Aufl. 1992, S. 22

Nr. 18 vom Sonntag, 21.03.1999

"Die Religion ist daher so wenig ein Besserungsmittel des Menschen, daß sie vielmehr ihn zur Verstellung vor sich selbst, zum Selbstbetrug verführt, indem sie seinem Glauben und Handeln andere Motive unterlegt, als in Wahrheit zugrundeliegen."

Ludwig-Feuerbach-ABC, hg. v. H. Kraus, 2. Aufl. 1992, S. 20

Nr. 19 vom Sonntag, 28.03.1999

"Der Glaube ... ist gut gegen die Gläubigen, aber böse gegen die Ungläubigen. Im Glauben liegt ein böses Prinzip."

Ludwig-Feuerbach-ABC, hg. v. H. Kraus, 2. Aufl. 1992, S. 21

Nr. 20 vom Sonntag, 04.04.1999

"Die Liebe, welche das Jenseits erzeugt hat, welche den Leidenden mit dem Jenseits vertröstet, ist die Liebe, welche den Kranken heilt, nachdem er gestorben, den Dürstenden labt, nachdem er verdurstet, den Hungernden speist, nachdem er bereits verhungert ist."

Ludwig-Feuerbach-ABC, hg. v. H. Kraus, 2. Aufl. 1992, S. 24

Nr. 21 vom Sonntag, 11.04.1999

"'Der Materialismus unserer Zeit ist eine Krankheit.' Köstliche Erfindung! Wer weiß nicht aus seinem eigenen Leben, aus den traurigen Erfahrungen seiner Jugend, welche krankhaften Erscheinungen der deutsche Idealismus bei sich und anderen hervorgebracht hat! Wer weiß nicht, daß er erst gesund und vernünftig geworden ist, als er zur Anerkennung der Materie, zum Materialismus, genötigt worden ist!"

Ludwig-Feuerbach-ABC, hg. v. H. Kraus, 2. Aufl. 1992, S. 43

Nr. 22 vom Sonntag, 18.04.1999

"Wenn die alte Philosophie sagte: was nicht gedacht ist, das ist nicht; so sagt dagegen die neue Philosophie: was nicht geliebt wird, nicht geliebt werden kann, das ist nicht. ... Wo keine Liebe, ist auch keine Wahrheit."

Ludwig-Feuerbach-ABC, hg. v. H. Kraus, 2. Aufl. 1992, S. 44

Nr. 23 vom Sonntag, 25.04.1999

"Die Frage, ob ein Gott die Welt geschaffen, die Frage nach dem Verhältnis überhaupt Gottes zur Welt, ist die Frage nach dem Verhältnis des Geistes zur Sinnlichkeit, des Allgemeinen oder Abstrakten zum Wirklichen, der Gattung zu den Individuen; jene kann daher nicht ohne diese gelöst werden; denn Gott ist ja nichts andres als der Inbegriff der Gattungsbegriffe. ... Ich bemerke aber, daß diese Frage zu den wichtigsten und zugleich schwierigsten Fragen der menschlichen Erkenntnis und Philosophie gehört, wie schon daraus erhellt, daß die ganze Geschichte der Philosophie sich eigentlich nur um diese Frage dreht, daß der Streit der Stoiker und Epikuräer, der Platoniker und Aristoteliker, der Skeptiker und Dogmatiker in der alten Philosophie, der Nominalisten und Realisten in dem Mittelalter, der Idealisten und Realisten oder Empiristen in neuerer Zeit nur auf diese Frage hinausläuft. Sie ist aber eine der schwierigsten Fragen nicht nur deswegen, weil die Philosophen, namentlich die neuesten, durch den willkürlichsten Gebrauch der Worte eine unendliche Konfusion in diese Materie gebracht haben, sondern auch, weil die Natur der Sprache, die Natur des Denkens selbst, welches sich ja gar nicht von der Sprache abtrennen läßt, uns gefangennimmt und vexiert, indem jedes Wort ein allgemeines, daher vielen schon die Sprache allein, weil sich das Einzelne nicht einmal aussprechen lasse, ein Beweis von der Nichtigkeit des Einzelnen und Sinnlichen ist."

L. Feuerbach, Das Wesen der Religion, A. Kröner Verl. Stuttgart 1938, S. 140 f.

Nr. 24 vom Sonntag, 09.05.1999

"Und wenn es auch genug Erscheinungen in der Natur gibt, deren physikalischen, natürlichen Grund wir noch nicht entdeckt haben, so ist es töricht, deswegen, weil wir eine Erscheinung nicht physikalisch, nicht natürlich erklären können, zur Theologie seine Zuflucht zu nehmen. Was wir nicht erkennen, werden unsere Nachkommen erkennen. Wie unzählig vieles, was unsere Vorfahren sich nur aus Gott und seinen Absichten erklären konnten, haben wir jetzt aus dem Wesen der Natur abgeleitet!"

L. Feuerbach, Das Wesen der Religion, A. Kröner Verl. Stuttgart 1938, S. 158

Nr. 25 vom Sonntag, 16.05.1999

"Auch der Rationalismus, ja, jede Religion, jede Religionsweise, die einen Gott, d.h. ein nicht wirkliches, ein von der wirklichen Natur, dem wirklichen Menschenwesen abgezogenes und unterschiedenes Wesen an die Spitze stellt, zum Gegenstand ihrer Verehrung macht, ist Bilderdienst und folglich Götzendienst ..."

L. Feuerbach, Das Wesen der Religion, A. Kröner Verl. Stuttgart 1938, S. 224

Nr. 26 vom Sonntag, 23.05.1999

"Das Christentum hat sich die Erfüllung der unerfüllbaren Wünsche des Menschen zum Ziel gesetzt, aber eben deswegen die erreichbaren Wünsche des Menschen außer acht gelassen; es hat den Menschen durch die Verheißung des ewigen Lebens um das zeitliche Leben, durch das Vertrauen auf Gottes Hilfe um das Vertrauen zu seinen eigenen Kräften, durch den Glauben an ein besseres Leben im Himmel um den Glauben an ein besseres Leben auf Erden und das Bestreben, ein solches zu verwirklichen, gebracht."

L. Feuerbach, Das Wesen der Religion, A. Kröner Verl. Stuttgart 1938, S. 336

Nr. 27 vom Sonntag, 30.05.1999

"Ich verstehe unter Natur den Inbegriff aller sinnlichen Kräfte, Dinge und Wesen, welche der Mensch als nicht menschliche von sich unterscheidet; ich verstehe überhaupt unter Natur,..., allerdings, wie Spinoza, das nicht, wie der supranaturalistische Gott, mit Willen und Verstand seiende und handelnde, sondern nur nach der Notwendigkeit seiner Natur wirkende Wesen; aber es ist mir nicht, wie dem Spinoza, ein Gott, d.h. ein zugleich wieder übernatürliches, übersinnliches, abgezogenes, geheimes, einfältiges, sondern ein vielfältiges, populäres, wirkliches, mit allen Sinnen wahrnehmbares Wesen."

L. Feuerbach, Das Wesen der Religion, A. Kröner Verl. Stuttgart 1938, S. 106

Nr. 28 vom Sonntag, 06.06.1999

"Mein Wille ist von meiner Natur, meinem Wesen, aber nicht meine Natur von meinem Wesen abhängig; mein Wille richtet sich, auch ohne daß ich es weiß und will, nach meinem Wesen, aber mein Wesen, d.h. wesentliche Beschaffenheit meiner Individualität, richtet sich nicht nach meinem Willen, wenn ich auch noch so sehr mich anstrenge und überbiete."

L. Feuerbach, Das Wesen der Religion, A. Kröner Verl. Stuttgart 1938, S. 194

 


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