Ludwig Feuerbach

Die Naturwissenschaft und die Revolution* (1850)

Ludwig Feuerbachs Sämmtliche Werke, hg. von Wilhelm Bolin und Friedrich Jodl, Stuttgart 1903-1910, X. Band, S. 3-24

Neu bearbeitet und veröffentlicht von Werner Schuffenhauer in der Ausgabe des Akademie-Verlags, Berlin 1971:
Ludwig Feuerbach, Gesammelte Werke, Kleinere Schriften III, Bd. 10, S. 347-368

Bearbeitung: Helmut Walther (15.06.2005)

Der selige Minister Eichhorn gab einmal der Königsberger Universität die gnädige Versicherung: dass die königliche Regierung zwar keine mit ihren Grundsätzen in Widerspruch stehenden Religions- und Staatslehren dulden könne, dass sie aber nicht im entferntesten daran denke, mit dieser Beschränkung der philosophischen Wissenschaften auch die Naturwissenschaften beschränken zu wollen. Wenn uns ein anderer preussischer Minister mit dem beschränkten Unterthanenverstand bekannt gemacht, so hat dagegen der Herr Minister Eichhorn bei dieser Gelegenheit — freilich nicht bei dieser allein — den Beweis geliefert, dass es auch einen sehr beschränkten Regierungsverstand giebt. Wie? die Regierung maasst sich die Herrschaft über unsere Gedanken und Gesinnungen an, sie schreibt uns vor, was wir denken und glauben sollen, und dennoch erlaubt sie uns den Gebrauch unserer fünf Sinne? Die Regierung steckt ihre Nase in Alles, sie durchstöbert jeden Winkel in unserem Schreibtische, jeden Wisch in unserem Papierkorb, um selbst noch in den ad pium usum bestimmten Papieren Spuren von Hochverrath auszuwittern, und doch untersucht sie nicht den Inhalt unserer Herbarien, unserer Steinsammlungen, unserer ausgestopften Thiere?(1) Die Regierung nimmt dem Bürger seine Waffen, dem Schriftsteller seine spitzige Feder, dem Drucker seinen Pressbengel, und doch lässt sie dem Geologen seinen Hammer, dem Anatomen sein Secirmesser, dem Chemiker sein Scheidewasser? Ist das nicht ein ungeheuerer Widerspruch? Was ist aber der Grund dieser liberalen Gesinnung gegen die Naturwissenschaften? Nur der beschränkte Regierungsverstand, der nichts weiss von dem geheimen staatsgefährlichen Bunde der Naturwissenschaft mit Religion, Philosophie und Politik. Auf den ersten oberflächlichen Blick erscheint allerdings die Beschäftigung mit der Natur als die allerunschädlichste, ja unschuldigste, die es nur immer geben kann; denn was steht dem Getriebe der politischen Welt ferner als die Natur? Was ist für ein Zusammenhang zwischen den Gesetzen der Natur und den Intriguenspielen unserer Politik, zwischen den Bedürfnissen des Lebens und den Luxusartikeln unserer Staaten, zwischen den Kräften der Materie und den Phrasen unserer Minister und Deputirten? Was kümmern sich die Naturmächte um unsere Gross- und Kleinmächte, unsere Fürsten und Demokraten? Unterscheidet der Floh zwischen fürstlichem und bürgerlichem Blut, der Blitz zwischen einem gekrönten und ungekrönten Haupte? Aber wie das Objekt so das Subjekt, wie die Ursache so die Wirkung. Gleichgiltigkeit gegen die politischen Parteien und Händel ist daher die erste Wirkung der Naturwissenschaft. Diese Wirkung passt nun allerdings insofern in den Kram unserer reactionären Regierungen, als der Naturforscher nicht gegen sie ist; aber er ist auch nicht für sie, und das allein macht ihn schon zu einem höchst verdächtigen Menschen. Denn unsere Staaten sind ja »gut christlich«; sie stützen sich, wenn auch nur mit Bayonnetten, auf die Heilige Schrift, und in ihr steht geschrieben: »Wer nicht für mich ist, ist wider mich«. Die politische Indifferenz ist übrigens auch nur eine vorübergehende Wirkung der Naturwissenschaft; denn die Natur kümmert sich nicht nur nichts um Politik, sie ist auch das direkte Gegentheil der Politik. Wo Natur, ist keine Politik, wenigstens im Sinne der Dynasten, und wo Politik, nur Unnatur: wie könnte also der Naturforscher bei diesem augenfälligen Contraste zwischen dem Wesen der Natur und dem Unwesen der Politik gleichgiltig bleiben? Der Naturforscher sieht, wie die Natur in einem ewigen Fortschritte begriffen ist, wie sie nie mehr auf eine einmal überschrittene Stufe zurückfällt, nie mehr aus einem Mann ein Knabe, einem Weibe ein Mädchen, einer Frucht eine Blüthe, einer Blüthe ein Blatt wird; wie in der Natur immer das Alte abstirbt, und zwar nur dazu, um den Dünger für eine bessere Zukunft abzugeben. Wie thöricht, wie lächerlich kommen ihm dagegen die reactionären Thaumaturgen vor, welche sich einbilden, inhaltsvolle Jahre aus der Geschichte streichen, die Menschen auf einen verlassenen Standpunkt zurückversetzen, Männer wieder zu Kindern machen zu können! Der Naturforscher sieht, wie es in der Natur nichts Isolirtes, nichts Vereinzeltes giebt; wie Alles vielmehr in ihr in einem nothwendigen und grossartigen Zusammenhang steht; wie die Naturwesen sich zwar in verschiedene Klassen abtheilen, aber nur nach begründeten Unterschieden, und wie selbst diese wieder zuletzt in die Einheit des Ganzen sich auflösen. Er gewöhnt sich dadurch unwillkürlich, alle Dinge von einem universellen Standpunkte aus zu betrachten, folglich auch an die Politik den grossen Maasstab der Natur anzulegen. Wenn er daher einen Blick in die deutsche Politik wirft, ach! wie winzig erscheinen ihm da unsere »grossen Staatsmänner«, wie unerheblich die Spielarten der »achtunddreissig deutschen Nationen«, die sich auf dem Miste des historischen Rechtsbodens erzeugt haben, wie komisch die zwieträchtige Eintracht der deutschen Fürsten, wie unwürdig das corpsburschenschaftliche Wesen und Treiben unserer Particularisten, wie ungeheuer die Beschränktheit der Politiker, welche einen Staat wie Preussen als einen Grossstaat betrachten und bezeichnen! Der Naturforscher verkennt zwar nicht, dass Preussen in dem kleinen Baden gross gethan; aber wie klein, wie unendlich klein erscheint ihm Preussen und sein Benehmen im Grossen und Ganzen der deutschen Politik! Der Naturforscher ist Grossdeutscher im wahrsten und eminentesten Sinne des Worts. Für ihn existirt kein Lichten- und Lobenstein, aber auch kein Preussen, kein Oesterreich, kein Bayern. Der Naturforscher weiss aus der Erfahrung, dass die Farbe das allerwesenloseste Unterschiedsmerkmal. Was anders unterscheidet denn aber zuletzt z.B. den Preussen und Bayern, als die Farben: schwarzweiss und blauweiss? Wie kann also der Naturforscher seinen universellen Sinn und Blick durch diese wesenlosen, willkürlichen, kleinlichen Unterschiede beschränken, wie preussisch oder bayrisch gesinnt sein? Wenn man aber nicht mehr preussisch oder bayrisch denkt, kann man dann noch eine königlich preussische oder königlich bayrische, oder gar fürstlich loben- und lichtensteinische Gesinnung haben? Unmöglich! Der Naturforscher wirft daher mit Cicero’s Ausruf über die Politik seiner Zeit: »Sunt omnia omnium miseriarum plenissima«, (Alles ist aller Erbärmlichkeiten voll) sehnsuchtsvoll seine Blicke über die blauweissen und schwarzweissen Schlagbäume der deutschen Politik hinüber in die freien Urwälder Nordamerikas, vor dessen räumlicher Grösse allein schon die kleinlichen Maasstäbe der europäischen Kabinetspolitik in Nichts verschwinden und findet das Heil nur in der Demokratie.(2)

Aber nicht nur Demokrat, selbst auch Socialist und Communist, freilich nur im vernünftigen und allgemeinen Sinne dieses Worts, wird nothwendig der Naturforscher; denn die Natur weiss nichts von den Anmaassungen und Fictionen, durch die der Mensch im Rechte die Existenz seines Nebenmenschen beschränkt und verkümmert hat. Die Luft gehört von Natur Jedem und eben damit Niemanden, sie ist das Gemeingut aller Lebenden; aber die Rechthaberei hat selbst die Luft zu einem Regale gemacht: »Der Wind gehört der Herrschaft«. Die Natur kennt allerdings das Eigenthum, aber nur das nothwendige, vom Leben unabsonderliche; sie giebt jedem Wesen, was es braucht; sie hat keines zum Verhungern geschaffen. Die Nothwendigkeit der Verhungerung verdankt ihre Existenz nur der Willkür des Staates, dessen Wesen der »Staat«, die Uniform, der Schein, der Tand ist. Der Blick in die Natur erhebt darum den Menschen über die engherzigen Schranken des peinlichen Rechts, sie macht den Menschen communistisch, d.h. freisinnig und freigebig. Selbst der heilige Anselmus sagt schon, seinem Lebensbeschreiber Cadmerus zufolge, ganz im Widerspruch mit der weltbekannten geistlichen Habsucht, dass nach dem Naturgesetz (secundum naturalem legem) nichts dem Einen mehr als dem Andern angehöre, und dass alle Schätze der Welt zum allgemeinen Besten der Menschen erschaffen seien. Das »gute alte Recht« hat die Menschheit in Noblesse und Canaille, Adel und Pöbel, geschieden und zur Rechtfertigung dieser Injurie gegen das Menschengeschlecht den unsinnigen Satz aufgestellt: »Venter nobilitat«. Aber die Naturwissenschaft kennt keinen Unterschied zwischen einem adeligen und einem bürgerlichen Bauch, sie weiss nur von einem allen Menschen gemeinen und gleichen Ursprung. Als einst der Anatom Jodocus Lucius die Lage der Gebärmutter zeigte, sagte er: »Hier lasset uns bespiegeln, wir Menschen, die wir mit unserer adeligen Ankunft prangen und meinen, wir seien besser als Andere: hier ist unsere erste Wohnung zwischen Harn und Koth.« Solche communistische, staats- und rechtswidrige Gesinnungen flösst die Natur ein! Und doch giebt der beschränkte Regierungsverstand die Naturwissenschaft frei und stellt nur die Philosophie unter polizeiliche Aufsicht. Nur die Philosophie! Wie thöricht! Wie unschädlich ist sie, wie arm, wie wehrlos im Vergleich zu den Naturwissenschaften! Wie leicht kann man ihre gefährlichen Wirkungen auf das Publikum verhindern! Was gehört dazu, einen Philosophen zu widerlegen? Nichts weiter als ein Professor der Philosophie, und was ist leichter zu haben als ein solcher! Wenn daher ein revolutionärer Philosoph auftritt, so braucht man nur einen Professor der Philosophie gegen ihn schreiben zu lassen, und der arme Philosoph ist, wenigstens in den Augen des Publikums — aber darauf kommt es allein an, Schein regiert die Welt — mausetodt. Dem Philosophen, dem nur das treulose und vieldeutige Wort zum Organ dient, kann man ja ohne Mühe auch den sonnenklarsten Satz, den unwidersprechlichsten Beweis zunichte machen: man darf nur ein Wort verdrehen, oft selbst nur eine Partikel auslassen, und der ganze Satz löst sich in Unsinn auf. Was sind gegen die festbestimmten und innigen Verbindungen der chemischen Stoffe die losen, flüchtigen Wortverbindungen, die der Gedanke eingeht? Was gegen den soliden Körperbau der naturgeschichtlichen Wesen der papierne Periodenbau, worauf sich der Philosoph stützt! Was gegen die Platinadichte des Natursystems das luftige Spinnengewebe der Sprache, worin der Denker sein Wesen entfaltet! Spinne noch so sorgfältig, noch so logisch zusammenhängend Faden an Faden: du vermagst nichts gegen die Natur der Sprache, du reihst nur Lücke an Lücke, und jede Lücke ist ein Tummelplatz für die Bosheit und Dummheit deiner Kritiker. Der Philosoph spricht sich ferner nur in allgemeinen und deswegen abstracten Sätzen aus. Sind diese gleich nur von einzelnen wirklichen Fällen abgezogen, so scheinen sie doch nur aus der Luft gegriffen zu sein, wenn man nicht durch den Schein hindurch auf den Grund blicken, das Abstracte mit dem Concreten, das Geistige mit dem Sinnlichen verknüpfen kann. Aber wie Wenige vermögen dieses! Und wie machtlos sind überhaupt abstracte Wahrheiten! Wie ganz anders ist es dagegen mit der Naturwissenschaft, deren Grundsätze anschauliche Thatsachen, deren Beweismittel sinnliche Instrumente sind. Doch wozu sagen, was schon Andere besser gesagt haben! Condorcet in seinem »Éloge de Mariotte« sagt: Les théories nouvelles, les mieux prouvées, font peu de progrès, tant qu’elles ne sont appuyées que sur des principes abstraits; même les meilleurs esprits, accoutumés à certaines idées abstraites, acquises dans la jeunesse, rejettent toutes celles qui ne se lient pas aisément avec les premières, et toutes les vérités spéculatives dont on ne peut leur donner des preuves sensibles, sont absolument perdues pour eux. Ainsi toutes les fois qu’un homme de génie propose des vérités nouvelles, il n’a pour partisans que ses égaux, et quelques jeunes gens élevés loin des préjugés des écoles publiques; le reste ne l’entend point ou l’entend mal; le persécute ou le tourne en ridicule.
[Die neuen, am besten bewiesenen Theorien machen wenig Fortschritte, solange sie sich nur auf abstrakte Prinzipien stützen; selbst die besten Geister, die an bestimmte, schon in der Jugend erworbene abstrakte Ideen gewöhnt sind, verwerfen all die Ideen, die sich nicht bequem mit den ersteren verbinden, und alle spekulativen Wahrheiten, für die man keine sinnlich wahrnehmbaren Beweise geben kann, sind für sie absolut verloren. Wenn daher ein Mann von Genie neue Wahrheiten vorschlägt, hat er allemal zu Anhängern nur seinesgleichen und einige junge Leute, die fern den Vorurteilen der öffentlichen Schulen erzogen sind; der Rest versteht ihn nicht oder falsch, verfolgt ihn oder macht ihn lächerlich.]

Allerdings greift der Naturforscher nicht direct, wie der Philosoph, die religiösen und politischen Vorurtheile an; aber man kann kein Glied aus der Reihe der menschlichen Vorstellungen herausreissen oder verändern, ohne damit die ganze Reihe zu verändern. So lange die Phantasie des religiösen Glaubens die Menschen beherrschte, so lange war auch die natürliche Welt eine Fabel- und Märchenwelt. Wer an Wunder in der Bibel glaubt, der glaubt auch an Wunder ausser der Bibel, der hat überall Wunder im Kopfe. Und umgekehrt: wer an keine natürlichen Wunder mehr glaubt, der glaubt auch keine religiösen mehr. Wie wäre es auch anders möglich? Der Boden aller Wunder ist ja die Natur. Freilich kann sich der Mensch mit der Ausrede helfen, dass er nur auf dem Gebiete der Natur, nicht der Religion und Theologie, das Wunder aufhebe. Aber nur eine Zeit lang; endlich siegt doch im Menschen der Einheitsdrang und Wahrheitssinn über den Zwiespalt zwischen einer vernünftigen natürlichen und einer unvernünftigen übernatürlichen Welt. Der erste Revolutionär der neueren Zeit war daher der Verfasser der Schrift »De revolutionibus orbium coelestium«, Nicolaus Copernicus. Copernicus hat den allgemeinsten, den ältesten, den heiligsten Glauben der Menschheit, den Glauben an die Unbeweglichkeit der Erde, umgestossen und mit diesem Stosse das ganze Glaubenssystem der alten Welt erschüttert. Er hat als ein echter »Umsturzmann« das Unterste zu oberst und das Oberste zu unterst gekehrt, die höchste Sphäre des ptolemäischen Systems, das Primum mobile, (die Ursache der täglichen Himmelsbewegung) zum Parterre der Astronomie gemacht, der Erde die Initiative der Bewegung zugeeignet und dadurch allen ferneren und anderweitigen Revolutionen der Erde Thür und Thor geöffnet. Er hat dem phantastisch-despotischen Dominium mundi des Mittelalters, welches sich die Erde über die Himmelskörper, der Papst über die Geister, der Kaiser über die Fürsten und Völker, der Mensch über die Menschen angemaasst hatte, für immer den Garaus gemacht; er hat den menschlichen Geist aus den epicyklischen Zauberkreisen des verworrenen, widerspruchsvollen Unsinns einer eingebildeten Welt erlöst und zur Anschauung der wirklichen Welt, zur Einfachheit der Natur zurückgeführt. Er hat mit frecher Hand die bis auf ihn verschlossene, mit Ausnahme einiger ketzerischer Denker selbst den grössten Geistern des Alterthums undurchdringliche, nur zur Brustwehr der menschlichen Beschränktheit, Gedankenlosigkeit und Gläubigkeit dienende Himmelsveste aufgesprengt, und dadurch den Blick des Menschen bis in die Unendlichkeit des Universums erweitert und dem gesunden Menschenverstand Eingang selbst in den Himmel verschafft. Der Himmel galt sonst in der Religion für den Thron und Sitz der Gottheit, den Wohnort der Seligen, in der Philosophie für das fünfte Element, wo keine Negation, keine Veränderung, kein Entstehen und Vergehen wie auf der plebejischen Erde stattfinden sollte, kurz: für ein heiliges göttliches Wesen. Aber alle diesen süssen, heiligen Vorstellungen und Aussichten, die sich sonst an den Himmel knüpften, hat die moderne Astronomie, deren Urheber oder Begründer Copernicus war, schonungslos vernichtet. Sie hat zwar die Erde in den Himmel emporgehoben, aber eben dadurch auch den Himmel profanirt, die Himmelsgestirne auf gleichen Fuss mit der Erde gesetzt. Copernicus ist es, der die Menschheit um ihren Himmel gebracht hat. Wo kein sinnlicher Himmel mehr, verschwindet auch bald der Himmel des Glaubens; denn nur an dem sinnlichen Himmel hatte ja auch der religiöse seinen Grund und Haltpunkt. Mit vollem Recht wurde das Copernicanische Weltsystem von den Katholiken als ein ketzerisches förmlich verdammt, von den Protestanten wenigstens theoretisch verworfen, denn es widerspricht der Heiligen Schrift. »Du gründest das Erdreich«, heisst es im Psalm, »auf seinen Boden (super stabilitatem suam, wie es in der Vulgata heisst), dass es bleibt immer und ewiglich.« »Die Erde bleibet ewiglich«, sagt der Prediger Salomo, »die Sonne geht auf und geht unter und läuft an ihren Ort.« Diese und noch einige andere Sprüche der Bibel hielt man den Copernicanern entgegen. Was aber in der Bibel steht, muss auch in der Natur stehen. Hat man doch selbst in den Sternbildern die hebräischen Buchstaben gefunden! »Alles, was die Heilige Schrift behauptet«, heisst es z.B. in Theodorici Winshemii Novae quaestiones sphaerae« vom J. 1564, »ist unbezweifelbar gewiss. Die Heilige Schrift behauptet aber, dass die Erde fest und unbeweglich sei. Also ruht die Erde in der Mitte der Welt und bewegt sich nicht.« Welch eine glückliche Zeit, wo man noch mit Bibelsprüchen den menschlichen Geist bannen, mit Bibelsprüchen den Revolutionen der Erde Stillstand gebieten konnte! Was sind gegen diese Wirkungen des todten biblischen Buchstabens die oratorischen Machtsprüche, womit unsere politischen Schlangenbeschwörer die »lernäische Schlange« der Revolution bezwingen wollen. Und gleichwohl sieht der beschränkte Regierungsverstand nicht ein, dass nicht erst die gottlose Philosophie, sondern schon Meister Copernicus der Bibel ihre reactionäre Zaubermacht genommen. Copernicus hat das körperliche Centrum der Welt, die Erde, in die Reihe der Irrsterne eingeführt; Copernicus hat auch das geistige Centrum der christlichen Welt, die Bibel, in die Klasse der irrenden menschlichen Bücher versetzt. Schwach sind die Gründe, womit die Copernicaner die göttliche Ehre der Bibel zu retten suchten. Die Geschichte hat sie längst widerlegt. »Der Heilige Geist lässt sich nicht trennen, noch theilen, dass er ein Stück sollte wahrhaftig und das andere falsch lehren oder glauben lassen.« Wo die Bibel keine Stimme mehr in der Astronomie hat, da hat sie bald auch keine mehr in anderen Dingen. Wie verträgt sich denn auch mit einer falschen Astronomie eine wahre Anthropologie oder Psychologie? Wie kann man den Menschen im wahren Lichte betrachten, wenn man die Welt, zu der er gehört, nur nach ihrem Scheine beurtheilt? Doch wozu versteige ich mich bis in den fernen Himmel der Astronomie, um die Naturwissenschaften wegen ihrer revolutionären Tendenz bei unseren Regierungen zu denunciren? Einen uns weit näher liegenden, eindringlichern und zeitgemässern Beweis von der universellen revolutionären Bedeutung der Naturwissenschaft haben wir an vorliegender neuer Schrift: Lehre der Nahrungsmittel. Für das Volk. Von Jakob Moleschott. Erlangen, Enke. 1850.

Diese Schrift theilt uns mit, in volks- oder, was Eins ist, menschenfreundlicher Absicht und Sprache, die Resultate der modernen Chemie über die Nahrungsmittel, ihre Bestandtheile, ihre Beschaffenheiten, Wirkungen und Veränderungen in unserem Leibe. Sie hat also eigentlich nur einen gastronomischen Zweck und Gegenstand; und doch ist sie eine, und zwar im höchsten Grade, Kopf und Herz aufregende, eine sowohl in philosophischer als ethischer und selbst politischer Beziehung höchst wichtige, ja revolutionäre Schrift.

Ich beginne meine Denunciation mit der Philosophie und behaupte, dass diese Schrift, obgleich sie nur von Essen und Trinken handelt, den in den Augen unserer supranaturalistischen Scheincultur niedrigsten Akten, doch von der höchsten philosophischen Bedeutung und Wichtigkeit ist. Ja, ich gehe weiter und behaupte, dass nur sie die wahren »Grundsätze der Philosophie der Zukunft« und Gegenwart enthält; dass wir in ihr die schwierigsten Probleme der Philosophie gelöst finden. Was haben sich nicht sonst die Philosophen den Kopf zerbrochen mit der Frage von dem Bande zwischen dem Leib und der Seele! Jetzt wissen wir aus wissenschaftlichen Gründen, was längst das Volk aus der Erfahrung wusste, dass Essen und Trinken Leib und Seele zusammenhält, dass das gesuchte Band also die Nahrung ist. Wie hat man sich nicht sonst über eingeborene oder von aussen gekommene Ideen gezankt und wie verächtlich auf die herabgeblickt, welche den Ursprung der Ideen aus den Sinnen ableiteten! Jetzt ist es uns ebenso unmöglich von eingeborenen Ideen zu reden wie von eingeborenen Speisen oder von eingeborener Wärme, die wirklich einst unter dem Namen calor innatus eine Hauptrolle in der Naturwissenschaft spielte. Jetzt wissen wir, dass die Respiration die hauptsächlichste Quelle der Wärme, dass die Luft ein wesentlicher Theil unserer selbst ist, dass wir alles von aussen pumpen, dass wir nichts zu eigen haben, dass wir als reine Lumpen und Communisten auf die Welt kommen, dass gar nichts in uns ist, was nicht auch ausser uns existirt, dass wir am Ende nur aus Sauerstoff, Stickstoff, Kohlenstoff und Wasserstoff, diesen wenigen, einfachen und doch so unendlich verschiedenartiger Verbindung fähigen, diesen geisterhaften, unmittelbar un- und übersinnlichen und dennoch an sich und mittelbar sinnlichen Stoffen zusammengeflickt sind.

Wie stimmt aber diese Anschauung des Menschen mit der christlichen Welt- und Menschenanschauung? Denn was ist der eigentliche Kern der christlichen, wenigstens dogmatisch-christlichen Lehre? Der: »dass wir existiren könnten allein mit Gott, auch wenn kein Raum, keine Materie wäre, weil unser Wesen nicht den Begriff der Existenz der äusseren Dinge in sich schliesst«; dass der Mensch ein Bild Gottes, d.h. das Wesen ist, welches nur aus sich und in sich d.h. nur aus und in Gedanken besteht, welches keiner Welt, keiner Natur, keiner Materie zu seiner Existenz bedarf: dass also der Mensch noch existirt, auch wenn sein Leib und die materielle Welt überhaupt zugrunde geht. Und dennoch dulden unsere gutchristlichen Regierungen im christlichen Staate die Naturwissenschaften, insbesondere die allerradikalste, corrosivste und destructivste Wissenschaft, die Chemie, die in ihrem Scheidewasser all die Mysterien der christlichen Weltanschauung aufgelöst hat? Welch’ ein ungeheuerer Widerspruch! Doch kehren wir wieder von den Thorheiten der Politik zur Philosophie zurück. Wie hat nicht der Begriff der Substanz die Philosophie vexirt! Was ist sie? Ich oder Nicht-Ich, Geist oder Natur, oder die Einheit von beiden? Ja, die Einheit. Aber was ist denn damit gesagt? Die Nahrung nur ist die Substanz; die Nahrung die Identität von Geist und Natur. Wo kein Fett, ist kein Fleisch; aber wo kein Fett, da ist auch kein Hirn, kein Geist: und das Fett kommt nur aus der Nahrung. Die Nahrung ist das Spinozistische Hen kaì pân, das Allesumfassende, das Wesen der Wesen. Alles hängt vom Essen und Trinken ab. Die Verschiedenheit des Wesens ist nur Verschiedenheit der Nahrung. Schon in der »Offenbarung der Natur und natürlichen Dinge ... durch den hochgelehrten Hieronymum Cardanum« heisst es übrigens ganz im Widerspruch mit der Offenbarung der Bibel, wo dem Essen und Trinken nur eine frivole Bedeutung gegeben, das Wesen des Menschen als ein vom Essen und Trinken unabhängiges vorgestellt wird: »die Nahrung mögend in alle Naturen die Menschen verenderen. Wölliche nun vil Wildbret und Gewürz in der Speiss brauchen, werden alle grimm und zornig leuth, wölliche kraut essend, werdend milt und zahm.« Welche dornenvolle Untersuchungen hat nicht das Sein den Philosophen verursacht! Ist es Eines oder Vieles? Eins mit dem Denker aber verschieden von dem Nichts des Gedankens? Unnütze Fragen! Das Sein ist Eins mit dem Essen; Sein heisst Essen; was ist, isst und wird gegessen. Essen ist die subjektive, thätige, gegessen werden die objective, leidende Form des Seins; aber Beides unzertrennlich. Erst im Essen erfüllt sich daher der hohle Begriff des Seins und offenbart sich die Unsinnigkeit der Frage: ob Sein und Nichtsein identisch, d.h. ob Essen und Hungern identisch ist?

Was haben sich nicht die Philosophen mit der Frage gequält: was ist der Anfang der Philosophie? Ich oder Nicht-Ich, Bewusstsein oder Sein? O ihr Thoren, die ihr vor lauter Verwunderung über das Räthsel des Anfangs den Mund aufsperrt und doch nicht seht, dass der offene Mund der Eingang ins Innere der Natur ist, dass die Zähne schon längst die Nüsse geknackt haben, worüber ihr noch heute euch vergeblich den Kopf zerbrecht! Damit muss man anfangen zu denken, womit man anfängt zu existiren. Das Principium essendi ist auch das Principium cognoscendi. Der Anfang der Existenz ist aber die Ernährung; die Nahrung also der Anfang der Weisheit. Die erste Bedingung, dass du etwas in dein Herz und deinen Kopf bringst, ist: dass du etwas in deinen Magen bringst. »A Jove principium« hiess es sonst, aber jetzt heisst es: »a ventre principium«. Die alte Welt stellte den Leib auf den Kopf, die neue setzt den Kopf auf den Leib; die alte Welt liess die Materie aus dem Geiste, die neue lässt den Geist aus der Materie entspringen. Die alte Weltordnung war eine phantastische und verkehrte, die neue ist eine natur- und eben deswegen eine vernunftgemässe. Die alte Philosophie begann mit dem Denken, sie »wusste nur die Geister zu vergnügen und liess darum die Menschen ohne Brod«; die neue beginnt mit Essen und Trinken. Die alte Philosophie hatte daher nichts im Kopfe — »Sein und Nichts ist identisch«, das Nichts ist das Infinitum et indeterminatum negans; Dieu est opposé au néant —: denn wo nichts im Magen, ist auch nichts im Kopfe. Der Kopf ist das Vermögen, zu schliessen; aber die Vordersätze, die Elemente zu diesen Schlüssen liegen in den Speisen und Getränken. Der Geist ist Licht, verzehrendes Feuer, aber der Brennstoff ist der Nahrungsstoff. »Ein voller Bauch studirt nicht gern«; richtig; aber so lange der Bauch voll ist, so lange hat der Kopf auch nichts vom Inhalte des Bauchs. Hirn werden die Speisen erst, wenn sie verdaut, wenn sie Blut geworden sind. Der »volle Bauch« ist also ein alberner Einwand. Es bleibt dabei: der Nahrungsstoff ist Gedankenstoff.

Das Gehirn kann ohne phosphorhaltiges Fett nicht bestehen. ... An das phosphorhaltige Fett ist die Entstehung, folglich auch die Thätigkeit des Hirns geknüpft. ... Ohne Phosphor kein Gedanke (»Lehre der Nahrungsmittel«, S. 115fg.).

Wo hat je ein speculativer Philosoph daran gedacht? Haben sie nicht alle das Denken aus sich selbst erklärt, den Geist zu einem selbständigen, stofflosen von aller Materie abgesonderten Wesen gemacht? Haben sie nicht ihr Nichtwissen von den materiellen Grundlagen des Geistes in ein Nichtsein derselben verwandelt? Ist es nun ein Wunder, dass es noch so dunkel in der Welt aussieht, da selbst unsere grössten Denker keinen Phosphor im Kopfe hatten? Ist es ein Wunder, dass die unsinnigste Vorstellung, die Schöpfung aus Nichts, sogar zu einem heiligen Glaubensartikel und zum »höchsten Problem der speculativen Philosophie« wurde? Was heisst denn aber: »die Welt ist geschaffen aus Nichts« anders als: sie ist geschaffen ich weiss nicht woraus? Was heisst also, an eine Schöpfung oder überhaupt Entstehung aus Nichts glauben? Es heisst an die Heiligkeit und Göttlichkeit der Ignoranz glauben; es heisst die Ignoranz an die Spitze der Welt, der Religion und Wissenschaft stellen. Ein Beispiel hiervon haben wir eben an dem Ernährungsprocess. Dass die Speisen Fleisch und Blut werden, wusste man; aber wie? Das wusste man nicht. Wie löste man nun den Widerspruch zwischen dem bekannten Etwas und dem unbekannten Nichts oder dem Nichts der Unwissenheit? Man schrieb dem Leibe unter dem Namen der Lebenskraft ohne Weiteres die Kraft zu, die Speisen in Blut zu verwandeln, d.h. man dichtete dem Organismus, wenn auch nicht mit Worten, doch der That nach, eine aus Nichts schaffende Kraft an, um so die Wunder der christlichen Dogmatik in Fleisch und Blut umzusetzen. Aber in der Wirklichkeit verhält es sich ganz anders. Hören wir wie. Ehe wir aber dieses Wie verstehen, müssen wir wissen, warum wir essen und was wir essen oder vielmehr uns aneignen. »Das Leben ist Stoffwechsel« (S. 66). Wir empfangen von der Aussenwelt Stoffe und geben sie wieder zurück, nur in anderer Gestalt, scheiden sie aus. Und je mehr oder weniger wir von uns geben, desto mehr oder weniger müssen wir auch zu uns nehmen. Leider ist aber nicht mit der verminderten Aufnahme von Nahrungsmitteln auch eine verhältnismässige Abnahme der Ausscheidungen verbunden. Wenn wir Nichts zu verzehren haben, verzehren wir uns selbst. Es heisst (S. 62):

»Auch wenn wir uns aller Speise und alles Tranks enthalten, hauchen wir Kohlensäure und Wasser aus, die Ausleerungen von Harn und Koth erfolgen nach wie vor, die Haare wachsen, die Nägel verlängern sich, und Schweiss und Schleim entziehen dem Körper von Stunde zu Stunde seine wesentlichsten Bestandtheile. Und wenn die Enthaltsamkeit fortdauert, dann verräth sie sich nur zu bald durch eine beträchtliche Abnahme des Gewichts unseres Körpers.«

Ferner S. 63:
»Wenn der Ersatz aufhört, während die Ausgaben fortdauern, dann ändert sich alsbald die Zusammensetzung der Gewebe, und das Blut, das nicht nur für die Gewebe, sondern auch für sich selbst einkauft, macht in einigen Tagen oder, wenn es hoch kommt, in wenigen Wochen Bankrott. Denn der Sauerstoff, den wir einathmen, zehrt vom Blut, dessen Einnahmen stocken.«

Und S. 49:
»Allen Stoffen unseres Körpers wird nämlich Sauerstoff der Luft zugeführt den wir unablässig einathmen. Kein Stoff aber greift mächtiger als der Sauerstoff in das Werden und Vergehen der organischen Verbindungen ein. Vor der anhaltenden Wirkung des Sauerstoffs hat keine organische Verbindung unsers Körpers Bestand.«

Am ersten schwinden unter dem verzehrenden Einfluss des Sauerstoffs die Fette, dann die Muskeln, das Herz, Milz und Leber, am spätesten die Nerven und das Hirn — eine merkwürdige Erscheinung, da sie aus den wandelbarsten Stoffen unsers Körpers, aus Fett und Eiweiss bestehen; eine bis jetzt noch unerklärte Erscheinung, die aber trotzdem das späte Absterben der geistigen Thätigkeit erklärt. Doch die Folgen des Hungerns oder Fastens erstrecken sich noch weiter. Wo die Menge und Mischung des Stoffs, verändert sich auch die Form der Verrichtung.

»Denn ein gemeinsames Band hält Stoff und Form und Verrichtung umschlungen ... Der leichtere Muskel, dessen Fett und Eiweiss geschwunden ist, erscheint als welkes Fleisch, das sich langsam zusammenzieht. Das Herz ist träge, die Zahl der Pulse in der Minute beträchtlich vermindert ... Kleine Reize haben grosse Wirkung. Das Licht thut wehe, ein stärkerer Schall wird unerträglich, eine Berührung erweckt Zorn ... In schlafloser Nacht quält den Hungernden die Gier, der mächtige Hebel so vieler Leidenschaften. Wer zu Aas und Leichen, zum Fleisch seiner Freunde oder zu seinem eigenen Körper greift, der beweist mehr als die Einbildungskraft der Dichter sich vorstellen kann ... Von keinem Triebe wird die Macht des Geistes trauriger besiegt. Der Hunger verödet Kopf und Herz ... Der Hungernde fühlt jeden Druck mit Centnerschwere: darum hat der Hunger mehr Empörungen verursacht als der Ehrgeiz unzufriedener Köpfe ... Kalt und starr, die Muskeln zuckend in gelähmten Gliedern, seufzend, mit trübem Auge, abgestumpfter Empfindung, bethörtem Urtheil, kämpft der Gepeinigte den Todeskampf, dem häufig eine Ohnmacht sein Ziel steckt, bisweilen aber rasendes Irrereden vorausgeht.« (S. 66-68.)

Dies das Gemälde von den schrecklichen Folgen des unbefriedigten Hungers, dies der Grund des Nahrungsbedürfnisses, dies auch der Grund, warum die neue Weltweisheit nicht mehr das Nichts im Kopfe, sondern das Nichts im Magen — ein sehr reelles, weil empfindliches Nichts — zu ihrem und der Welt Princip macht.

Wir sehen zugleich hieraus, von welcher wichtigen ethischen sowohl als politischen Bedeutung die Lehre von den Nahrungsmitteln für das Volk ist. Die Speisen werden zu Blut, das Blut zu Herz und Hirn, zu Gedanken und Gesinnungsstoff. Menschliche Kost ist die Grundlage menschlicher Bildung und Gesinnung. Wollt ihr das Volk bessern, so gebt ihm statt Deklamationen gegen die Sünde bessere Speisen. Der Mensch ist was er isst. Wer nur Pflanzenkost geniesst, ist auch nur ein vegetirendes Wesen, hat keine Thatkraft.

Indess ist es nicht genug, dass wir unter dem Volk, welches ja längst vor der Entdeckung der thierisch-vegetabilischen Substanz der Hülsenfrüchte aus der Erfahrung die Wichtigkeit derselben, besonders der Linsen, erkannt hat, Propaganda für den Erbsenstoff machen, um durch die Salze und phosphorsaueren Alkalien, die in den Hülsenfrüchten in so reichlicher Menge enthalten sind, das faule Kartoffelblut des deutschen Volks wieder in Bewegung zu setzen. Auch wir, die wir unverdienterweise so glücklich sind, nicht allein von Kartoffeln zu leben, müssen die Lehre der Nahrungsmittel zu unserer Richtschnur nehmen, wenn wir einen guten Grund zu einer neuen Revolution legen wollen. Die Diät ist die Basis der Weisheit und Tugend, der männlichen, muskelkräftigen, nervenstarken Tugend; aber ohne Weisheit und Tugend gedeiht keine Revolution. Lassen wir uns daher vor Allem durch die Politik, so niederschlagend und ekelerregend sie auch jetzt ist, nicht den Appetit zum Essen und Trinken verderben; aber mässigen wir den Genuss durch die Kenntniss der Nahrungsstoffe, wie sie uns hier der Verfasser mittheilt, wenngleich uns die Empfindung von ihren Wirkungen längst gesagt hat, was uns die Chemie lehrt. Aber die Aufgabe des Menschen ist eben, den Grund der Empfindung zu entdecken, den Gegenstand der Empfindung zu einem Gegenstand des Wissens zu erheben. Nicht mit Gebet, mit Erkenntniss zu geniessen, ist menschlich. Doch wir können dem Verfasser nicht bis in seine Diätetik und Zergliederung der einzelnen Speisen, Getränke und Gewürze hineinfolgen: empfehlen aber jedem Gelehrten, dem der Mensch mehr ist als das Buch, jedem Künstler, jedem Handwerker, jedem Lehrer, jedem Vater, jeder Hausfrau, dieses Buch als ein unentbehrliches, als ein Buch, welches alle die Bedingungen aufweist, welche zu einer gesunden, ihrem Begriffe entsprechenden, sowohl leiblichen als geistigen Nahrung erfordert werden.

Anmerkungen:

* Leicht gekürzte Fassung; die Kürzungen wurden mit "…" kenntlich gemacht.

(1) Die Regierungen machen Riesenfortschritte. Wenige Wochen nachdem dieses niedergeschrieben war, brachten die Zeitungen die Nachricht, dass die preussische Regierung in dem Kopfe eines Hirsches nach dem Entwurf eines furchtbaren Komplots gesucht habe. So verwirklichen unsere Regierungen selbst die tollsten Träume der Phantasie!

(2)Diesen Uebergang zur Demokratie hat schon der berühmte Physiolog Haller den jetzigen Naturforschern zur Pflicht gemacht. Haller schrieb drei politische Romane. Der erste handelt von der Despotie oder absoluten Monarchie, der zweite von der constitutionellen Monarchie, der dritte von der aristokratischen Republick. Was hätte nun nothwendig folgen sollen? »Le tableau d’une democratie parfaite«, wie schon Condorcet in seinem »Éloge de Mr. de Haller« bemerkt. Aber diese Consequenz scheiterte an der Berner Aristokratie, deren Mitglied Haller selbst war. Der jetzige Naturforscher ist jedoch an diese Lokalschranke nicht mehr gebunden. Er hat den Fehler Haller’s gutzumachen. Uebrigens lasse ich nicht umsonst den Naturforscher nach Amerika hinüberblicken, und womöglich selbst hinübergehen; denn es ist noch sehr in Frage, ob Europa, wenigstens in einem voraussichtlichen Zeitraum, einer wahren Umgestaltung und Verjüngung fähig sei. Gewohntes Uebel ist dem Menschen lieber als ungewohntes Neues, wenngleich es ein Gut ist. Ueberdies erfordert eine neue Zeit auch einen neuen Raum. Ortsveränderung gehört zur Sinnesänderung. Auf dem alten Boden haften auch die alten Sünden. Deutschland oder, was Eins ist, Europa, in eine Republik verwandeln wollen, kommt mir oft gerade so vor, als wenn man eine Dirne, die schon allen Potentaten gedient, in eine Jungfrau verwandeln wollte. Es giebt keine religiösen, aber auch keine moralischen und politischen Wunder.