Neu-Erscheinung:

Ludwig Feuerbach - zur Einführung

Rezension von Helmut Walther


Christine Weckwerth, Ludwig Feuerbach zur Einführung
Hamburg, Junius Verlag, 2002, ISBN 3-88506-354-9, 163 S., 11,50 €.



In der verdienstvollen Philosophie-Reihe des Junius-Verlages "Zur Einführung" sind bereits 130 Bände von Hans Albert bis Wittgenstein erschienen; in einer der jüngsten Ausgaben schildert – für den Rezensenten als Mitglied der Ludwig-Feuerbach-Gesellschaft Nürnberg e.V. sehr erfreulich – Dr. Christine Weckwerth die Grundzüge der Philosophie Ludwig Feuerbachs. Die wissenschaftliche Mitarbeit der Autorin an der Feuerbach-Gesamtausgabe der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften unter Leitung von Prof. Dr. Werner Schuffenhauer sowie ihre Forschungsschwerpunkte Idealismus und nachhegelsche Philosophie bieten beste Voraussetzungen für diese Aufgabe.

Das Buch will keine Biographie sein – deren Daten können jedoch einer Zeittafel im Anhang entnommen werden –, vielmehr liegt sein Schwerpunkt auf der Einordnung des Feuerbachschen Denkens in der Ära des Junghegelianismus; das Originäre (und das teils heute noch Moderne) des Ansatzes von Feuerbach wird herausgearbeitet und dieser aus dem Schatten von Marx herausgeholt, in dem er über lange Jahre der Rezeptionsgeschichte (nicht) gesehen wurde.

In einer Einleitung und sieben aussagekräftig benannten Kapiteln wird dazu der Ausgang Feuerbachs von der idealistischen Subjektphilosophie und die Hinwendung zur Gattungsproblematik, die Suche nach einer eigenen Position über die Philosophiegeschichte, die Umkehr der Hegelschen Philosophie zur Anthropologie unter Hinwendung zur Natur bis hin zum Entwurf einer eudämonistischen Gefühlsethik nachgezeichnet.

Dabei gilt das Interesse der Autorin dem "durchgehenden roten Faden" der Philosophie Feuerbachs, von dem hauptsächliche Knotenpunkte hier vorgestellt werden sollen:

– Unter Auflösung der spekulativ-logischen Idealsynthese von Idee und Wirklichkeit ("Weltgeist") rückt in einer anthropologischen Wende der wirkliche Mensch in seinem Bezug zum Mitmenschen in den Mittelpunkt. Erkenntnis wird statt aus dem "reinen Geist" nun in phänomenologischer Form aus der Sinnlichkeit des Menschen und dessen Kommunikation rekonstruiert.

– Zunächst nötig ist daher eine Kritik des Christentums als genetischer Religionskritik: Die Fixierung des Christen auf Transzendenz und Unsterblichkeit als Bezug zum "reinen Selbst" verfälscht die Einsicht in die reale Welt und trennt Mensch und Mitmensch. Daher tritt an die Stelle der phantastischen Liebe zu Gott die Liebe zum realen Menschen als Gattungswesen, das seine gattungsspezifische Befähigung im Diesseits zu entwickeln hat.

– Philosophie ist nicht "reines Denken", sondern immer subjektgebunden: Anthropologie als Lehre vom konkreten, sich geschichtlich entwickelnden Menschen in der "Einheit seiner tätigen und leidenden, selbständigen und abhängigen, selbstgenügsamen und gesellschaftlichen, sympathisierenden, seiner praktischen und theoretischen Existenz" in einer "Synthese von Idealismus und Materialismus". Insoweit geht die Philosophie Feuerbachs am Beginn seiner Denkentwicklung über einen bloßen Utilitarismus bzw. naturwissenschaftlichen Empirismus hinaus.

– Der Staat ist daher für Feuerbach zunächst – noch deutlich unter dem Einfluß Hegels – das "realisierte Gattungswesen", der "absolute Mensch", da in ihm alle Menschen ihre unterschiedlichen individuellen Fähigkeiten zusammenwirkend einbringen. Die Staatsform der Zukunft ist dann notwendig die demokratische Republik als die "geschichtliche Aufgabe" und das "praktische Ziel" der Menschheit. Da in ihr die Mehrheit der Staatsangehörigen entscheidet, wendet sich Feuerbach von da aus den Fragen der wirtschaftlichen und sozialen Stellung vor allem auch der Arbeitnehmer und deren Bildung zu. Die Basis des Zusammenlebens ist für ihn nicht das Inschachhalten der Lupusmentalität im "Krieg aller gegen alle" (Hobbes), sondern die Liebe: die natürliche Zuwendung des Menschen zum Menschen (Rousseau) als zur Politik gewandelte Religion. Hier lassen sich unschwer Parallelen zum heraufziehenden Sozialismus als säkularisierter Religion Marx-Engelscher Prägung ziehen. Allerdings bleiben bei Feuerbach die für Marx so bedeutungsvollen soziologischen Bedingungen (etwa Eigentum, gesellschaftliche "Klassen" und Wirtschaftsform) außen vor.

– Die anthropologische Wende hin zur seins- und erkenntnisbegründenden Sinnlichkeit des Menschen rückt notwendig die Natur in den Blick, zunächst im Wesen der Religion reflektiert in der Frage nach der natürlichen Herkunft der Religion. Denn für Feuerbach stammt der Mensch allein aus der Natur, die er "im Ausgang vom naiven Bewußtsein" als "eine eigenstrukturierte, subjektunabhängige Wirklichkeit" auffaßt. Die in der Kindheit des Menschen aus emotionaler Abhängigkeit von der Natur an Götter übertragenen Attribute wie Ewigkeit und Allmächtigkeit werden der pantheistischen Einheit von Mensch und Natur zurückgegeben. Als "letzten subjektiven Grund" dazu macht Feuerbach die Selbstliebe und den Glückseligkeitstrieb des Menschen aus: "Der Wunsch ist der ... Ursprung, das Grundwesen, das Prinzip der Religion." Dieser zunächst naturalistisch-anthropologische und phänomenologisch-aufklärende Ansatz enthielt in seiner Bezogenheit auf die Gattung noch ein transzendierendes Moment. Demgegenüber tritt nun in der Reduktion auf eine angebliche rein emotional bedingte Herkunft der Religion eine eher utilitaristische Auffassung des Menschen in den Vordergrund, der zunächst pantheistische Tuismus der Liebe wird reduziert auf einen soziablen Egoismus durch Bildung, die Selbstliebe erhält "den Status einer ursprünglichen anthropologischen Kostante", gründend auf dem Glückseligkeitstrieb.

– Im letzten Nürnberger Lebensjahrzehnt wendet sich Feuerbach, wohl auch angeregt durch die Beschäftigung mit Schopenhauer, nochmals konkret dem Leib-Seele-Problem und der Willensfreiheit zu. Den Willen führt er mit Schopenhauer auf Triebe und Charakter zurück; das Individuum folgt unaufhebbar seinen Bedürfnissen und den daraus hervorgehenden Motivationen: "Wo aber kein Trieb, ist kein Wille." Alles Seelische gründet dabei auf dem Materiellen, da Empfindungen und Vorstellungen "nicht losgelöst von der menschlichen Hirntätigkeit zu begreifen" seien.

– Das Problem der altruistischen Handlung und der Ethik löst Feuerbach auf diese Weise allerdings nur widersprüchlich: Denkt er die am Wohl des Anderen interessierte Handlung zunächst reziprok wie in der Geschlechtsliebe, so bleiben damit Wohltaten gegenüber Fernerstehenden unerklärbar. Daher führt er als weiteren Faktor das Gewissen ein, das er sich als durch Erziehung ausgebildetes "Sensorium für Leiden und Hilfsbedürftigkeit" bzw. für den "Glücksanspruch der anderen" denkt. Mit dieser "nichtempirischen wie zugleich kulturell überformten anthropologischen Größe" hat er aber seinen eigentlich ausschließlich naturalistisch-eudämonistischen Ansatz überschritten. Zu einer Aufarbeitung dieses Widerspruchs wie zur Ausarbeitung einer eigenen Ethik ist es dann durch einsetzende Krankheit (Schlaganfall) nicht mehr gekommen.

Wie gesehen unterläßt es die Autorin in ihrer Darstellung nicht, auf die teilweise bereits von Zeitgenossen (Stirner, Marx) kritisierten Schwächen des Feuerbachschen Ansatzes hinzuweisen, etwa im Hinblick auf die fehlende Entfaltung seiner auf dem Gefühl beruhenden Anthropologie in einer unzulänglichen "Generalisierung der Sinnlichkeit", mit der auch eine tragfähige Erkenntnistheorie ausbleibt, oder in der Beschränkung der Kommunikation des Individuums auf das "Du", wobei aber die Existenz des Individuums in gesellschaftlichen Prozessen unbeachtet bleibt bzw. mit der "Gattung" idealistisch übersprungen wird. So weisen die Erkenntnisse Feuerbachs in mehrfacher Hinsicht über die seinerzeit vorhandenen Auffassungen hinaus und sind bei den Zeitgenossen wie den Nachfolgern in verschiedenen Richtungen fruchtbar geworden, lassen sich aber in ihrem sich teils widersprechenden Entwicklungsgang zu keiner schlüssigen Gesamtsicht zusammenfassen.

Andererseits ist, wie es 1941 schon Karl Löwith ausgedrückt hat, "Feuerbachs Versinnlichung und Verendlichung von Hegels philosophischer Theologie [...] schlechthin zum Standpunkt der Zeit geworden, auf dem wir nun alle – bewußt oder unbewußt – stehen." Feuerbachs Probleme im Zusammenwirken von Philosophie und Naturwissenschaft, Individuum und Mitmensch, Egoismus und Ethik sind im Kern auch noch unsere heutigen – nicht zu vergessen seiner Einsichten in das Wesen der Religion, die trotz der Erkenntnisse Ludwig Feuerbachs gerade in unserer Zeit immer noch von so großer wie unheilvoller Bedeutung ist –, und so verdienen seine Lösungsvorschläge mehr als nur historisches Interesse. In diesem Sinne seien dem Buche zum Kennenlernen des aufrechten Denkers Feuerbach, der auch uns "Modernen" noch so manches Uneingeholte zu sagen hat, viele Leser gewünscht.

Helmut Walther (Nürnberg)


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